Drehbücher konstruieren Handlungen und Beziehungen.
Im üblichen Spielfilm soll der Zuschauer da ohne Distanz hineingeraten, in
die Handlung und in die Beziehung. Das gelingt auch meistens, denn wir
akzeptieren im Film eine Menge erstaunlicher Zufälle und
Extrem-Situationen, und wir akzeptieren auch viele Formen des
Beisammenseins und Auseinanderlebens von Leuten. Um die Konstruktionen
einer Beziehung laut Drehbuch umzusetzen, muss der Regisseur das Gespür
haben, Rollen so zu besetzen, dass es glaubhaft ist und bleibt, wie sich
der eine zum anderen verhält.
Ich kann auf Filme deuten, in denen ich als Komparse
zusah, wie Beziehungen laut Drehbuch stattfanden, bei denen man sich fragt
oder zumindest ich: Wie unwahr ist das denn? "Mackie Messer" im
"Dreigroschenfilm" war zum Beispiel in seinem Erfolg bei Frauen, war
bereits in der Art seiner Kontaktaufnahme - von hinten die Hand auf die
Schulter einer Frau legen, ohne sie von vorne gesehen zu haben - ganz
ungeeignet. Und "Praxis Dr.Klein" besteht aus lauter Wechselwirkungen
zwischen Leuten, die so niemals in Wirklichkeit wechselwirken würden -
eine platte Fiktion, die gutes Beisammensein wünscht, wo es nie sein kann.
Hinweis: Es gibt hier eine Unterseite "Herumstehen"

Foto oben: Wir Komparsen stehen etwas sinnarm im Foyer herum.
Beim Film "Tagundnachtgleiche" sehe ich in der
Besetzung der drei Hauptdarsteller eine Schieflage, die das Geschehen
eigentlich unmöglich macht. Ein Mann ist beisammen mit einer Frau. Sie
sind glücklich miteinander. Die Frau stirbt. Zwischen dem Mann und der
Schwester der Frau entsteht der Versuch einer Beziehung. Aber sorry: Diese
Zweit-Frau hat keine Chance, und das ist unfair plump. Ich vermute, dass
die Regisseurin das anders sieht und meint, unserem Mann ein attraktives
Wesen neben die verstorbene Schwester gestellt zu haben. Ich hingegen
frage mich: Wer hat denn da überhaupt die Zweit-Beziehung laut Drehbuch in
die Gänge gebracht? Weder dass der Mann die Schwester anders denn als
Schwester behandelt, noch dass diese Schwester imstande ist, auf den Mann
zuzugehen, kann ich mir vorstellen und habe ich in dem Filmausschnitt, in
dem ich Komparse spielte, erlebt. Die Schwester stand bloß rum und schaute
irgendwie - ich sah keine für die Beziehung nutzbaren Emotionen bei ihr,
kein Verlangen, kein Trieb, kein Entsetzen, keine Enttäuschung. Die
Verstorbene hingegen war ein natürliches charmantes Wesen, ein Weib, das
strebt und sich auch mal hingibt.
Ich wurde Zeuge eines echten Kusses im Film. Unsere
Hauptdarstellerin - in dieser Szene bereits verstorben, nur noch als
Vision des Mannes vorhanden - schwebte danach wie auf Rosen durch die
Drehpause. Sie war mit dem Hauptdarsteller ganz faktisch im Bett im Rahmen
der Dreharbeiten, behaupte ich mal, und da wurde etwas gefilmt, das gar kein Schauspiel war. Also die Schwester neben dieser Verstorbenen
war nach meiner Einschätzung hier fehlbesetzt. Das Drama, das das Drehbuch
meiner Ansicht nach wünscht - eine durchaus von zwei Menschen zunächst
gewollte Folgebeziehung, in die aber die vorherige Beziehung hineinspukt -
bleibt eine hölzerne Konstruktion, obwohl es wahrlich Mädels gibt, die in
der Rolle der Schwester das Drama hätten plausibel machen können.
In diesem Film bin ich meiner Überzeugung nach nicht
vorhanden. Zwar war ich als Komparse engagiert, zwar saß ich im Konzert
als Publikum, während die Hauptdarsteller sich küssten, und stand im
Foyer, während der Hauptdarsteller vor der Schwester davonlief - aber die
Kameraführung, die ich sah, verzichtete auf zwei Drittel der Komparsen und
klebte stetig mit der Steady Cam bei den Hauptdarstellern. Die Kamerafrau
drehte nämlich alles, alles mit Steady Cam, also mit einer Kamera, die auf
einem um die Hüfte geschnallten Gürtel saß und sich stetig bewegte.
Kann es wahr sein, dass klassisches Filmhandwerk so
vergessen wird? Ich sah keinen Dreh mit Stativ. Dabei gehörten die zwei
Musiker auf der Bühne und die Kuss-Szene jeweils auch mal ohne Schwanken
des Bildes in Totale sowie nah dran mit Stativ gefilmt. Sowas ist einfach
erforderlich, damit der Schnitt nachher gut werden kann. Auch der
Foyer-Szene hätte neben der Steady Cam eine Stativ-Totale genützt.
Ich fürchte, ich habe es mit einem Film zu tun, in dem möglichst viel von
Frauen gemacht sein soll - das bekommt derzeit Fördergelder. Lustig war,
wie die Regisseurin - ich denke, sie hat auch das Drehbuch geschrieben -
ihre Mutter als Komparsin stetig ins Bild zu rücken versuchte: "Mutter, du
holst jetzt im Foyer den Sekt", und "Mutter, du setzt dich da und da hin im
Publikum".

Hinter der weißen Wand, da werden sie sich küssen.

Wir lauschen dem Konzert, doch niemand filmt uns.
Kein Gegenschuss mit Kameraperspektive hinter dem Klavier wurde gedreht -
wie könnt ihr denn solch grundlegende Einstellung weglassen - nur mal so
für alle Fälle gehört die hier doch zum Dreh-Repertoire. Egal - wir haben
die sehr gute Titelmelodie des Films schon mal gehört. Achtmal mindestens
:-) |